Am 22.12.2022 hat der Energieministerrat nun endlich die Notfallverordnung „zur Festlegung eines Rahmens für einen beschleunigten Ausbau der Nutzung erneuerbarer Energien“ beschlossen. Am 29.12.2022 wurde die Verordnung nun auch offiziell im Amtsblatt der EU kundgemacht.
Die Verordnung stellt eine große Chance für den Ausbau erneuerbarer Energieträger dar, enthält aber eine Reihe von „Stolpersteinen“. Insbesondere werden den Mitgliedstaaten „Möglichkeiten“ eröffnet, die aber letztlich einer Umsetzung bedürfen, wodurch mit erheblichen Verzögerungen zu rechnen ist.
Die Verordnung sieht sowohl Maßnahmen im kleinen Rahmen, aber auch für größere Projekte vor. Wir haben die wesentlichen Eckpunkte dargestellt
Geltung der Verordnung
Die Verordnung trat mit 30.12.2022 in Kraft und soll vorläufig bis 30.06.2024 gelten (18 Monate). Nach einem Jahr ist eine Evaluierung der Verordnung vorgesehen. Eine Verlängerung muss aber nochmals gesondert beschlossen werden.
Gelten soll die Verordnung grundsätzlich für alle Verfahren zur Genehmigungserteilung für Projekte zur Erzeugung erneuerbarer Energien (also insbesondere Wind- und Wasserkraft, Photovoltaik) sowie Begleitmaßnahmen (etwa Netzanschluss, Speicher und Stromleitungen), die innerhalb der Geltungsdauer der Verordnung eingeleitet werden. Mit anderen Worten: Nur neue Verfahren gelangen in den Genuss der Vorteile der Verordnung.
Die kurze Geltungsdauer beschränkt den Effekt der Verordnung enorm, weil Projekte bereits jetzt vorliegen müssen, damit sie die Verordnung nutzen können“
Berthold Lindner
Die Mitgliedsstaaten werden ermächtigt die Verordnung auch auf laufende Verfahren anzuwenden, sofern das Verfahren damit verkürzt wird und bestehende Rechte Dritter gewahrt werden. Ob Österreich diese Chance ergreift, ist noch nicht klar.
Dies bedeutet jedenfalls, dass nur Projekte, die schon weit gediehen, aber noch nicht beantragt sind, von der Verordnung erfasst werden. Der Effekt der Verordnung scheint damit aufs erste überschaubar zu sein.
Vorliegen eines überwiegenden öffentlichen Interesses (Art 3)
In Genehmigungsverfahren für erneuerbare Energie sehen sich Antragsteller:innen häufig mit einer Vielzahl von Problemen konfrontiert, die durch Umplanungen und Maßnahmen nur sehr schwer bewältigt werden können. Wesentliche Hürden stellen dabei in allen Verfahren die strengen (individuenbezogenen) Artenschutzbestimmungen dar, Projekte in oder in der Nähe von Europaschutzgebieten sehen sich mit hohen Schutzanforderungen konfrontiert und Wasserkraftprojekte können oft nicht optimal gebaut werden, weil diese teilweise zu einer Verschlechterung des Wasserkörpers (nicht der Qualität des Wassers) führen. Konkret geht es also um Fragen des Gebiets- und Artenschutzes sowie die Verschlechterung von Wasserkörpern.
Sollten derartige Auswirkungen in einem Verfahren festgestellt werden, können Ausnahmen von den Vorgaben der FFH-, der Vogelschutz- und der Wasserrahmenrichtlinie bewilligt werden. Die Erteilung einer Ausnahmebewilligung erfordert unter anderem das Vorliegen eines überwiegenden öffentlichen Interesses. bei der Erteilung von Ausnahmen von den Vorgaben der FFH-, der Vogelschutz- und der Wasserrahmenrichtlinie von Bedeutung.
Durch die Verordnung wird klargestellt, dass Vorhaben für die Erzeugung erneuerbarer Energie samt der damit zusammenhängenden Anlagenteile (Netzanschluss, Speicher, Netze) im überwiegenden öffentlichen Interesse liegen. Unter Beachtung der übrigen in diesen Bestimmungen genannten Vorgaben, die erfüllbar sein sollten, können damit die Ausnahmebewilligungen deutlich einfacher erlangt werden. Vielmehr wird durch die Verordnung implizit verdeutlicht, dass die Ausnahmebewilligungen sogar angestrebt werden sollen. Durch gesonderten Rechtsakt können die Mitgliedstaaten aber die Anwendbarkeit dieser Bestimmung einschränken.
Weiters ist im Hinblick auf die Artenschutzbestimmungen zudem eine weitere Einschränkung zu beachten:
In Bezug auf den Artenschutz findet der vorstehende Satz nur Anwendung, wenn und soweit geeignete Artenschutzmaßnahmen, die zur Erhaltung oder Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustands der Populationen der Art beitragen, ergriffen werden und für diesen Zweck ausreichende Finanzmittel und Flächen bereitgestellt werden.
Es ist zu erwarten, dass diese Bestimmung in Verfahren wieder zu ausgiebigen Diskussionen führen wird.
Keine derartige Einschränkung gibt es jedoch bei der Beeinträchtigung von Europaschutzgebieten und für das wasserrechtliche Verschlechterungsverbot. Gerade in Wasserrechtsverfahren kann die Frage, ob der gute Zustand eines Vorhabens erhalten bleibt, daher nun abgekürzt behandelt werden, weil eine Ausnahme nach § 104a WRG 1959 einfacher erlangt werden kann.
Begünstigung für PV-Anlagen (Art 4)
Die Verordnung möchte den PV-Ausbau deutlich begünstigen. Die hier vorgesehenen Maßnahmen sind nur insofern von Vorteil, als die Verfahrensdauer für die Bewilligung auf 3 Monate beschränkt wird. Danach gilt für Anlagen bis 50 kW eine ex lege Genehmigung als erteilt.
PV-Anlagen sind von der UVP-Pflicht ausgenommen, was in Österreich ohnehin die Regel darstellt. Zudem bestehen bereits in zahlreichen Bundesländern Ausnahmen von der Bewilligungspflicht für kleine Anlagen.
Die Vorteile sind daher im gegenständlichen Fall gering. Eine Überschreitung der Verfahrensdauer könnte in Österreich nur mit Säumnisbeschwerde und dem damit verbundenen Zuständigkeitsübergang an das Verwaltungsgericht geltend gemacht werden. Im Ergebnis bietet dies aber keine Vorteile.
Repowering von Erzeugungsanlagen (Art 5)
In Österreich wird der Begriff Repowering meist nur im Zusammenhang mit Windparks benutzt. Die Verordnung versteht den Begriff weiter und möchte all Erzeugungsformen erneuerbarer Energie gleichermaßen erfassen. Dies gilt daher auch für die Ertüchtigung bestehender Wasserkraftwerke.
Zuerst wurde hier eine Beschränkung der Verfahrensdauer auf 6 Monate vorgesehen, was der ohnehin geltenden österreichischen Regelung entspricht.
Sofern das Repowering nicht zu einer Kapazitätserhöhung um mehr als 15% führt, müssen Netzanschlüsse grundsätzlich innerhalb von drei Monaten genehmigt werden.
Nach der Verordnung dürfen Behörden bei der Prüfung, ob für das Repowering eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen ist, nur auf die potentiell erheblichen Auswirkungen der Änderung oder Erweiterung im Vergleich zum ursprünglichen Projekt abstellen. Solaranlagen sind von dieser Prüfung gänzlich ausgenommen, sofern keine zusätzlichen Flächen erforderlich sind und das Repowering den geltenden Umweltschutzmaßnahmen entspricht.
In Abstimmung mit der Behörde können daher Repoweringmaßnahmen mit deutlich reduziertem Verfahrensaufwand geführt werden.
Go to-Gebiete(Art 6)
Eine erhebliche Verfahrenserleichterung könnte erzielt werden, wenn Projekte in sogenannten „Go to-Gebieten“ realisiert werden. Dort entfallen die Artenschutz- und Gebietsschutzbestimmungen der FFH- und der Vogelschutzrichtlinie und müssen keine UVP durchgeführt werden.
Diese Gebiete müssen aber durch Hoheitsakt der Mitgliedstaaten ausgewiesen werden und muss vor der Ausweisung eine Strategische Umweltprüfung (SUP) durchgeführt worden sein.
Angesichts einer Geltungsdauer der Verordnung von bloß 18 Monaten und der Vorlaufzeit einer SUP erscheint eine derartige Ausweisung nicht realistisch. Anderes kann nur dann gelten, wenn hier bereits durchgeführte SUP und Gebietsausweisungen als „go to-Gebiet“ herangezogen werden (etwa das SekROP Windkraftnutzung in NÖ). Dies könnte kurzfristig umgesetzt werden, wobei jedoch noch geklärt werden muss, welche Stelle (Bund, Länder) kompetenzrechtlich für die Ausweisung dieser Gebiete überhaupt zuständig ist.
Außerdem besteht auch hier wieder eine (kleinere) Einschränkung betreffend Arten- und Gebietsschutz:
Die zuständige Behörde stellt sicher, dass auf der Grundlage der vorhandenen Daten geeignete und verhältnismäßige Minderungsmaßnahmen ergriffen werden, um die Einhaltung von Artikel 12 Absatz 1 der Richtlinie 92/43/EWG und Artikel 5 der Richtlinie 2009/147/EWG zu gewährleisten, oder – falls solche Maßnahmen nicht verfügbar sind – der Betreiber einen finanziellen Ausgleich für Artenschutzprogramme zahlt, mit dem der Erhaltungszustand der betroffenen Arten gesichert oder verbessert wird.
Wärmepumpen (Art 7)
Wärmepumpen werden durch eine Verkürzung der Verfahrensdauer auf 1 Monat begünstigt, wenn die elektrische Leistung unter 50 MW (sic!) beträgt. Für Erdwärmepumpen ist eine Verfahrensdauer von 3 Monaten vorgesehen. Anschlüsse werden unter folgenden Voraussetzungen durch bloße Mitteilung genehmigt:
- Wärmepumpen mit einer elektrischen Leistung von bis zu 12 kW; und
- Wärmepumpen, die von einem Eigenversorger im Bereich der erneuerbaren Energien installiert werden und eine elektrische Leistung von bis zu 50 kW aufweisen, wenn die Kapazität der Anlage zur Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Quellen des Eigenversorgers im Bereich erneuerbare Elektrizität mindestens 60 % der Kapazität der Wärmepumpe beträgt.
Auch hier können bestimmte Gebiete oder Strukturen aus Gründen des Schutzes kulturellen oder historischen Erbes oder aus Gründen der nationalen Verteidigung oder aus Sicherheitsgründen von den Mitgliedstaaten ausgenommen werden.
Chancen durch die Notfallverordnung
Die Notfallverordnung könnte bei einigen Verfahren zu einer deutlichen Beschleunigung führen. Dafür ist insbesondere der Mut der Behörden erforderlich, die Möglichkeiten voll auszuschöpfen. Angesichts der (vorerst) kurzen Geltungsdauer kann die Verordnung wohl nur für jene Vorhaben genutzt werden, die bereits in Vorbereitung stehen, die bereits anhängig sind, aber kurzfristig zurückgezogen und neu eingereicht werden oder die kurzfristig umgesetzt werden können. Parallel dazu erscheint es geboten, die Politik auf eine rasche Ausweisung von go to-Gebieten zu drängen, wo bereits SUP durchgeführt wurden.
Großes Potential besteht jedenfalls für:
- Restwasserreduktionen
- Repoweringmaßnahmen für Windkraft und PV
- Effizienzverbesserungen für Wasserkraftprojekte
- artenschutzrechtliche Zweifelsfälle
- Wärmepumpen
Um die Vorteile nutzen zu können, sind potentielle Vorhaben jedenfalls rasch zu identifizieren.
Kritik
Kein Licht ohne Schatten: Die Notfallverordnung wäre ein großer Wurf. Die kurze Geltungsdauer und die Überwälzung von Möglichkeiten auf die Mitgliedstaaten (Go to areas, Einschränkungen der Möglichkeiten) stellen jedoch eine vertane Chance dar. Um das Potential der Verordnung nutzen zu können, müssen die go to Gebiete im Rahmen der aufgezeigten Möglichkeiten rasch ausgewiesen werden.
Unser Fazit: Guter Schritt, aber mehr geht immer.“
Simon Ferk und Berthold Lindner sind sich einig
Hinsichtlich der Artenschutzbestimmungen wurde bereits im Vorfeld der Erlassung Kritik laut, dass die Bestimmungen der Verordnung strenger wären, als zuvor. Tatsächlich stellen diese einen gangbaren Kompromiss dar, der die Ziele des Artenschutzes weiterhin in angemessenem Rahmen berücksichtigt.